"und ich begehre
nicht Schuld daran zu seyn"
-Matthias Claudius
Ich bin schuldlos
wenn in Polen das Militär
den Kriegszustand ausruft
und zwanzig Menschen sterben
und wenn hinten in der Türkei
das Militär
den Kriegszustand ausruft
und Zwanzigtausend sterben
und wenn ich beides hinnehme
und nichts sage:
Ich bin der Wald
der dasteht schwarz
und schweiget.
Und wenn jene Machthaber
die nur die Machthaber Polens verdammen
mit neuem Mut jedes Streben
nach Frieden verleumden
und die Machethaber in Guatemala
und in El Salvador unterstützen
von Chile bis zur Türkei
von Pol Pot bis zu Marcos und Begin
dem Mörder des Palästineser
und bis zu den Männer Suhartos
die auf Timor Zehntausende
vom Leben zum Tode bringen -
und wenn ich das alles hinnehme
und nichts sage
bin ich schuldlos:
Ich bin der Wald
der sich selbst nicht sieht
vor lauter Bäumen.
Und wenn ich mein rechtes Aug schließe
und nur mit dem linken sehe
und wenn ich mein rechtes Aug öffne
und das linke zuhalten will
und wenn ich nur klage
über das auf der einen Seite
oder nur klage
über das auf der anderen Seite
oder beide Seiten gleich anklage
immer nur ausgewogen,
als waren hundertausend Tote
dasselbe wie hundert Tote
so bin ich schuldlos
denn ich sage nur
was man mir vorsagt:
Ich bin der Wald
aus dem es widerhallt
wie man hineinruft.
Und wenn ich verzweifle
und nur mit den Achseln zucke
und wenn ich nicht untersuche
woher das Unrecht
der einen Seite kommt
und das Unrecht der anderen Seite
und wenn ich glaube
das Unrecht der anderen Seite
macht das Unrecht der anderen Seite gering
und wenn ich glaube
das Unrecht der anderen Seite
rechtfertigt das Schwiegen
zum Unrecht der einen Seite
wenn ich nicht sehen will
dass die Täten der einen Seite
das Saatgut sind
fur die Täten der anderen Seite
dann kommt es nicht mehr darauf an
ob ich schuldig bin oder schuldlos:
Ich bin der Wald
von dem nichts ubrig sein wird
als die Asche.